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Auskunft über die Bilanz der Kameraüberwachung in der Münsterstraße

Die Klage gegen die Kameraüberwachung ist Geschichte, die Kameraüberwachung aber noch nicht. Und das obwohl sie nicht wirksam ist, zur Verdrängung der Straßenkriminalität in die Nachbarstraßen führt und – wie wir aus der Pressemitteilung des Gerichts lernen – die Polizei es auch nicht schafft in angemessener Zeit von der Münsterstr. 17-19 die 300-500 Meter bis zum beobachteten Tatort zu überwinden.

Soweit die Polizei bisher im Schnitt etwas mehr als 15 Minuten von der per Video entdeckten Tat bis zum Ein­treffen benötigt hat, erweist sich dies vor dem gesetzlichen Erfordernis des unverzüg­lichen Eingreifens möglicherweise als zu lang.

aus der Pressemitteilung des OVG Münster

Wir wollten daher wissen, wie sich die Polizei die Bilanz der Überwachung so zurecht legt, dass sie einen Grund sieht sie aufrecht zu erhalten und haben deswegen über FragDenStaat.de eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestetllt. Die wurde nach knapp vier Wochen zwar beantwortet. Klüger wird man aus den Dokumenten allerdings nicht, da sie zum allergrößten Teil geschwärzt sind:

Weder sind die konkreten Statistiken lesbar noch erfährt man mehr als das faktische. Die Kameraüberwachung wird forgesetzt.

Tatsächlich enthält das Dokument sogar noch weniger Informationen als die bereits bekannten.

  • Laut Polizeipresse lag die Anzahl der Straftaten im Bereich Münsterstr. 2021 bei 330 (Tabelle Seite 3)
  • Die Zeit von der Beobachtung am Bildschirm bis zum Eintreffen der Beamten dauert 15 Minuten
  • Die Aufzeichnungszeiten wurden angepasst – es wird aber nicht veröffentlicht wie der neue Zeitraum ist. Dabei sollten die Kameras das doch selbst zeigen in dem die Shutter davor geschaltet sind, wenn nicht aufgezeichnet wird.

Besonders willkürlich wirkt die Entscheidung zum Weiterbetrieb, wenn man die Bilanz der Münsterstraße mit der Bilanz der dreimonatigen Überwachung der Mehmet-Kubaşık-Platzes vergleicht. Auch hier liegt natürlich „ein direkter Zusammenhang zwischen dem Aufstellen des Videocontainers und der Reduktion der Fallzahlen auf der Hand.“ Verdrängungseffekte gibt es nicht, weil man nicht danach geschaut hat. Trotzdem ist auf Seite 1 handschriftlich vermerkt „Die Maßnahme ist zu beenden“.

Diskussion zu Polizeiüberwachung

Am 22.10.2021 hat ein Mitglied unserer Initiative zusammen mit zwei Vertretern von kameras-stoppen.org und Copwatch Griechenland an einer Diskussion zum Thema „Polizeiüberwachung und Überwachung der Polizei“ teilgenommen. Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist jetzt bei radio nordpol nachhörbar.

Hier klicken, um den Inhalt von radio.nrdpl.org anzuzeigen

Überwachung auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz: Polizei schreckt Menschen vor Teilnahme an Versammlung ab

Am heutigen 09.06. veranstaltet das Antifa Café Dortmund ab 19 eine Kundgebung unter dem Motto „Gegen Polizeiwillkür und Repression gegen Fußballfans“ auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz, der wie die Münsterstraße, seit Juni kameraüberacht wird. Hierbei handelte es sich, um eine Versammlung, die nicht überwacht werden darf. In einem Gerichtsverahren in Köln war erwirkt worden, dass Kameras sichtbar abgeschaltet werden müssen, z.B. indem sie verhüllt werden. Die Polizei Dortmund möchte dem laut eigener Aussage nicht folgen. Die Veranstalter:innen kündigen, in Kooperation mit der Initiative gegen Kameraüberwachung, den juristischen Weg an.

„Bei politischen Versammlungen dürfen Menschen nicht das Gefühl haben, von der Polizei gefilmt zu werden. Das könnte sie abschrecken, dorthin zu gehen und ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen.“, erklärt Arthur Winkelbach, von der Initative NoCamDo. „Die Polizei vertritt nun allerdings den Standpunkt, dass diese Kameras niemanden abschrecken würden, dabei bleibt das Grundproblem bestehen: Die Polizei hat Kameras auf eine politische Versammlung ausgerichtet und das darf nicht sein.“ Im Urteil vom Verwaltungsgericht Köln vom 12.03.2020 (20 L 453/20) heißt es dazu: „Im Rahmen des Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz geht das Gericht davon aus, dass die unverhüllte Präsenz der Kameras einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Teilnehmer darstellt. […] Die Zusage, die Kameras während der Versammlung abzuschalten, lässt den Eingriff nicht entfallen. „

„Dadurch, dass die Kameras während der Kundgebung unverhüllt sind, ist für die Teilnehmer:innen nicht erkennbar ob sie beobachtet werden oder nicht. So schüchtert die Polizei Menschen ein, an dieser Versammlung teilzunehmen. Dass die Abschreckung für potentielle Teilnehmer:innen für die Polizei so wenig Gewicht hat, reiht sich ein in die Missachtung der Grundrechte und Überdehnung ihre Befugnisse, die wir schon bei der Dauerüberwachung der Münsterstraße kritisiert haben, die weit über die angekündigten Zeiträume aktiv ist“, so Winkelback weiter. Dies sei besonders problematisch, weil sich die Kundgebung eben gegen Polizeiwillkür richte. „Dass die Polizei in dem Rahmen Vertrauen von uns einfordert, hinterlässt uns mit Kopfschschütteln. Vor allem mit Blick auf die Demonstration in Düsseldorf müssen wir feststellen, dass die Polizei in der Lage ist, die Versammlungsfreiheit zu missachten. Deswegen braucht es die Sicherheit, dass die Versammlung nicht überwacht wird: Die Kameras müssen abgehangen werden.“, so eine Vertreterin des Antifa Cafés.

Zum Antifa Cafe: https://antifacafedortmund.noblogs.org/
Gerichtsurteil aus Köln: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_koeln/j2020/20_L_453_20_Beschluss_20200312.html

Dokumentation: Überwachungscontainer

Gestern wurde der angekündigte Überwachungscontainer am Mehmet-Kubaşık-Platz aufgestellt. Hier Fotos und Einschätzungen von Twitter:

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Presseerklärung zum Start der Überwachung am 31.05.2021

Der Überwachungstestbetrieb der Münsterstraße ist die Fortführung einer falschen Sicherheitspolitik in der Dortmunder Nordstadt  

Die Polizei hat angekündigt am Montag, den 31. Mai 2021 mit einem Testbetrieb die Videoüberwachung in der Münsterstraße zu starten. Die Initiative gegen Videoüberwachung kritisiert dies und verweist auf anhängige Klagen sowie gründsätzliche Widersprüche polizeilicher Sicherheitspolitik. 

Zur Inbetriebnahme der Kameras erklärt Arthur Winkelbach von der Nachbarschaftsinitiative gegen Kamerüberwachung: „Sicher hat die Polizei Dortmund viel Geld und Zeit in dieses große Überwachungsprojekt gesteckt. Nach mehr als einem Jahr der politischen und juristischen Auseinandersetzung sehen wir aber weiterhin organisatorische, soziale und datenschutzrechtliche Probleme, die sich mit der Technik nicht lösen lassen.“ 

Die Initiative stellt den Sinn von Kameraüberwachung insgesamt in Frage und hat im Konzept klare Mängel identifiziert. Daher wurde im Herbst 2020 erst eine allgemeine Klage und später ein Eilantrag gegen die Überwachung eingereicht. Letzterer liegt derzeit beim Oberverwaltungsgericht in Münster. 

Gleichzeitig klagt in Köln eine Initiative gegen die Ausweitung von dortiger Videoüberwachung. In den bisherigen Urteilen dieser juristischen Auseinandersetzung werden weitere Auflagen genannt, die die Polizei Dortmund derzeit nicht umsetzt.  

Ein Beispiel:  Die Polizei möchte mit den Kameras Straßenkriminalität bekämpfen, filmt aber gleichzeitig Hauseingänge, Fenster von Privatwohnungen und auch die Zugänge zu grundgesetzlich geschützten Versammlungen. Die bisher vorgelegten Dokumente, die überhaupt nur aufgrund der Klage einsehbar wurden, zeigen kein Lösungskonzept für die Probleme mangelnder Transparenz und Grundrechtseingriffe.

Zwar hat die Polizei Hinweisschilder für Besucher*innen sowie für Anwohner*innen in der Münsterstraße aufgestellt, jedoch sind die Schilder erst im videoüberwachten Bereich sichtbar. Insbesondere Anwohner*innen können der Überwachung nicht entgehen. Sie werden dabei beobachtet wann und mit wem sie ihre Wohnungen betreten und verlassen. Die hochhängenden Kameras können außerdem in Fenster und auf Balkone filmen. Die Polizei hat bisher nicht schlüssig erläutern können, wie sie durch sogenannte „Schwärzungen“ die Übergriffe in die Privatssphären verhindern kann. Es bleibt auch offen welche „Schwärzung“ der Außengastronomie – die vor Gericht zugesagt wurde – konkret umgesetzt wird oder wie die Polizei Dortmund gedenkt mit der Erfassung von KfZ-Kennzeichen umzugehen. 

Hierzu hatte das Verwaltungsgericht Köln (Aktenzeichen 20 L 2344/20) bereits im Februar in einem Grundsatzurteil festgestellt: „§ 15a PolG NRW ermächtigt allerdings weder zur Videoüberwachung privater und/oder sensibler Bereiche noch zur KFZ-Kennzeichenerfassung.“ 

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss klargestellt: „Entsprechend hat der Antragsgegner sicherzustellen, dass Privatbereiche, d.h. Wohn- und Geschäftshauseingänge im Videobereich Neumarkt, der Eingangsbereich des Gesundheitsamtes und die KFZ-Kennzeichen der den Videobereich befahrenden Straßenverkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer unkenntlich gemacht/ verpixelt werden.“ 

„Jenseits dieser konkreten Gestaltungsfragen kritisert die Initiative die Pläne für die Videoüberwachung aber weiterhin grundsätzlich“, so Martin Pilpul, weiterer Sprecher der Initiative. Studien haben gezeigt, dass Videoüberwachung meist keine Effekte auf die Kriminalität haben. Die überwiegend sozialen Probleme lassen sich damit nicht lösen. Stattdessen befürchten wir, dass von der Polizei unerwünschtes Verhalten in die Nebenstraßen abwandert. Videoüberwachung, Taser, Schwerpunkteinsätze dienen vor allem der Stigmatisierung der Nordstadt und ihrer Bewohner*innen, um dann wiederum weitere ordnungspolitische Maßnahmen zu rechtfertigen.“

Dokumentation: Kamerastandorte

Während die juristische Auseinandersetzung noch läuft dokumentieren wir in diesem Beitrag die bisher installierten 17 Kamerastandorte. Die genauen Positionen sind auf dieser Karte hinterlegt.

Eine eindrücklich Auflistung der ordnungspolitischen Maßnahmen und ihrer absurden und erschreckenden Folgen für die Betroffenen Nordstadtbewohner:innen:

Eilentscheidung des Gerichts / Widerspruch eingelegt

Am 17. Februar 2021 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen unseren Eilantrag gegen die Kameraüberwachung des Nordpols auf der Münsterstraße Dortmund abgelehnt. Obwohl das Gericht unserem Antrag dahingehend folgt, dass eine Überwachung des Nordpols nicht rechtmäßig wäre, folgt es der Argumentation der Polizei, die weiträumige Unkenntlichmachungen in Aussicht gestellt haben und die Überwachung ansonsten für notwendig hält. Wir sind weiterhin der Meinung, dass die negativen Folgen der Überwachung in keinem Verhältnis zu den erwarteten (nicht-)Effekten steht und haben daher gegen dieses Urteil Widerspruch eingelegt.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2018 hat die Dortmunder Polizei nach der Verschärfung des Polizeigesetzes  NRW eine komplette Kertwende vollzogen. Sie hat nun eine begonnen eine Kameraüberwachung vozubereiten, die sie vorher selbst als nicht sinnvoll erachtet hat. Mehrere hunderttausend Euro sollen in das Experiment der Überwachung jenes Teils der Münsterstraße fließen, der das geschäftige Zentrum der Nordstadt  bildet. Dabei haben Studien bereits gezeigt, dass die Kameras in der Brückstraße keinen nennenswerten Effekt haben. Nachdem wir im Hauptverfahren Akteneinsicht in die konkreten Überwachungspläne der Münsterstraße bekommen haben, ist uns aufgefallen, dass nicht nur vermeintliche Straßenkriminalität, sondern gerade auch der Nordpol Ziel der Überwachung werden sollte. Dies ist gerade daher ein Problem, da dieser als Versammlungsort von Aktivist:innen dient, welche der Polizei kritisch gegenüber stehen.Zur Kritik dieser staatlichen Ordnungspolitik verweisen wir auf die Stellungnahme des Nordpols.

Im Norpdol finden regelmäßig Veranstaltungen statt, die vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt sind. Ähnlich wie bei Demonstrationen sind auch Treffen in nicht-öffentlichen Räumen besonders schützenswert. Hier findet nämlich ein wichtiger Teil politischer Beteiligung und Kritik statt. Demonstrationen dürfen z. B. nicht grundlos gefilmt werden, da dies einen Abschreckungseffekt auf die Teilnehmer:innen haben kann und so langfristig die Demokratie schaden nehmen könnte.

Anders als Demonstrationen, bei denen die polizeiliche Kameras – auch in der Münsterstraße – abgeschaltet werden, müssen Versammlungen, die nicht im öffentlichen Raum, also auf Plätzen und Straßen, stattfinden, nicht bei der Polizei angemeldet werden. Die Polizei weiss daher nicht automatisch über solchen Veranstaltungen Bescheid und kann also  Kameras  auch nicht rechtzeitig vor einer solche Versammlung abschalten. Wie auch bei Demonstrationen ist nicht nur die Teilnahme, sondern auch die An- und Abreise zu diesen zu schützen. Wir haben daher am Gericht gefordert, dass ein Überwachung des Nordpols untersagt werden muss.

Polizeipräsident Lange reagiert auf die Kritik an den Plänen seiner Behörde so, dass er vor der Öffentlichkeit und vor Gericht behauptet, der Nordpol sei überhaupt nicht das Ziel der Überwachung. Aus den Akten ergibt sich allerdings ein anderes Bild: Direkt gegenüber des Nordpols soll eine Kamera aufgehängt werden. Die Bereiche daneben sind dabei auch von anderen Kameras abgedeckt. Ohne das Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens abzuwarten, hat die Polizei  durch das Befestigen der Kameras Fakten geschaffen. Aufgrund dieses voreilige Vorgehens hat sich die Initiative gegen Kameraüberwachung zusammen mit den Menschen vom Nordpol entschieden gerichtlich mit einem Eilverfahren gegen diese Befestigung der Kameras vorzugehen.

Zugeständnisse und Transparenzprobleme

Im Zuge des Prozesses hatten wir und die Polizei zweimal Gelegenheit unsere Positionen genauer auszuführen. Interessanterweise hat die Polizei dabei einige Zugeständnisse gemacht. So wurde dem Gericht gegenüber weiterhin argumentiert, dass der Nordpol nicht das Ziel der Überwachung sei und die Kamera, die auf den Nordpol gerichtet ist, vor allem die Straße im Blick haben solle. Um Sorgen zu zerstreuen wurden „Schwärzungen“ angekündigt:

    „Zur Verdeutlichung des Umstandes, dass der öffentliche Einsatz Hausnummer 99 und nicht das Café als Einrichtung von dem verbindlich optisch-technischer Mittel erfasst werden soll, wird […] mitgeteilt, dass der gesamte Eingangsbereich des Café Nordpol geschwärzt wird. Auch in technischer Hinsicht wird diese Schwärzung irreversibel sichergestellt, da bereits bei Beginn der Erzeugung der digital und Bildinformation durch den Bildprozessor aus dem einfallenden Licht damit vor der Verarbeitung, mithin einer Aufzeichnung in der Kamera und vor Weiterleitung der Bildinformation, eine Schwärzung der auszunehmenden Bereiche erfolgt.“ 

Aus der Stellungnahme der Polizei zum Eilantrag.

Dieses Zusage ist so schon ein kleiner Erfolg. Problematisch bleibt die Überwachung aber natürlich trotzdem! Für den Nordpol bedeutet eine Schwärzung der Ladenfront, dass jede*r, der die Kamerabilder beobachtet natürlich auch sehen kann, wer in den geschwärzten Bereich rein und wieder raus geht. Dass sich tatsächlich jemand die Mühe machen würde, bewertet das Gericht als ‚lebensfremd‘. Mit Blick aber auf die Aussagen in den Akten die begründen, den den Nordpol aufgrund der (vermuteten) politischen Einstellung der Besucher*innen überwachen zu wollen, ist gerade diese Sorge aus unserer Sicht sehr begründet. Zudem ist das geht es bei unserem Widerstands gegen die öffentliche Überwachung der Münsterstraße nicht allein um die Interessen des Nordpols und die Wahrung demokratischer Grundrechte: Die Kamera steht symbolisch für die Überwachung der Nordstädter:innen, die diese Straße, ihre Geschäfte, Einrichtungen, Wohnräume, frequentieren und die ohnehin schon ordnungspolitischer Stigmatisierung ausgesetzt sind.

Darüber hinaus ist natürlich für diejenigen, die sich auf der Münsterstraße bewegen, nicht ersichtlich, ob Sie sich gerade in einem „geschwärzten“ oder „nicht-geschwärzten“ Bereich aufhalten. Das gilt für die Besucher:innen des Nordpols genauso wie für diejenigen, deren Fenster und Balkone sich im Sichtfeld der Kameras befinden. Hier wird auch das Transparenzkonzept ins Absurde geführt, für das die Polizei sich stets selbst lobt. Mit Schildern und farbigen Markieren an den Kameras, die signalisieren ob eine Kamera aufzeichnet oder nicht, soll den Passant:innen transparent gemacht werden, ob sie sich nun dem panoptischen Blick der Kameras unterwerfen sollen oder sie selbst sein können.

Wer in Zukunft abends vor dem Nordpol steht sieht zwar dann den grünen Sticker auf der Kamera, der das aufzeichnen signalisiert, soll sich aber gleichzeitig durch eine Aktennotiz versichert fühlen, dass sie*er sich im geschwärzten Bereich befindet. Das macht natürlich keinen Sinn. Die einzige Möglichkeit die Menschen vor der Überwachung zu schützen – deren negative Effekte bekannt sind – ist es, die Kameras zu demontieren.

Widerspruch wird eingelegt

Wir sind mit der Entscheidung des Gerichts unzufrieden. Einerseits erkennt es an, dass Versammlungen im Nordpol grundgesetzlich geschützt sind, andererseits übernimmt es die klar politisch motivierten Aussagen der Polizei. Unter anderem wird der seit Jahrzehnten fehlende Nachweis der Wirksamkeit von Videoüberwachung mit dem Verweis auf ein „Sicherheitsgefühl“ abgetan – und damit Ordnungspolitik an Stelle wirksamer polizeilicher Straftatbekämpfung legitimiert.

    „Ein wissenschaftlicher Nachweis ist insoweit, anders als der Antragsteller wohl unter Bezugnahme auf eine die Eignung nicht abschließend erhärtende kriminologische Studie meint, nicht erforderlich.“       

Aus der urteilsbegründung

Auch die Widersprüche in der Argumentation der Polizei werden einfach für unwichtig erklärt. Einerseits die Kehrtwende bei der Überwachung, die er noch vor einigen Jahren für nicht sinnvoll erachtet wurde, anderseits die Nennung vom Nordpol als überwachenswert in den Akten und die Gegenteilige Aussage des Polizeipräsidenten. Dazu kommt weiterhin, dass die seit Jahren sinkenden Zahlen (selbst in den Zusammengeschustert wirkenden Statistiken) zusammen mit der nun startenden Umgestaltung der Münsterstraße in unseren Augen gegen die Überwachung sprechen.

Wir werden daher Widerspruch gegen die Eilentscheidung einreichen und erwarten eine Entscheidung des OVG in Münster.

Gegen die Aufrüstung der Polizei in der Nordstadt

Einmal mehr wird so deutlich, dass es dringend unabhängige Forschung zur Polizei braucht.  Arthur Winkelbach: „Wir erleben wie ein ganzen Apparat an Beamt:innen, unterstützt von Rechtsanwält:innen, finanziert von allgemeinen Steuermitteln, die sich gegenüber dem Gericht, dass wohl nicht als besonders polizeikritisch anzusehen ist, vorerst durchsetzen konnte. Der juristische Kampf für den Schutz der Grundrechte und gegen eine ausuferende Überwachung unseres Leben, wird nicht nur in der Münsterstraße in Dortmund ausgefochten.“

Wir verweisen daher ebenfalls auf den Erfolg der Initiative „Kameras Stoppen“ aus Köln, die vor Gericht die Videoüberwachung des Breslauer Platzes stoppen konnte.

Von der juristischen Auseinandersetzung unbeeinflusst setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass die Nordstadt nicht weiter zum Spielfeld neuer Polizeitechniken wird, deren Ziel nie die Lösung der sozialen und politischen Probleme des Stadtteils und der Bewohner:innen sind, sondern nur die Behandlung von Symptomen einer ungleichen Gesellschaft samt ihrer und Stigmatisierungen und Disziplinierunen  mit immer neuen Mittel. Dazu zählt für uns auch die „Erprobung“ von Tasern – einer tödlichen Waffe. Taser sind eine  autoritäre Maßnahme, die als  „Deeskalation“ propagiert wird. 

Arthur Winkelbach erläutert zur Bedeutung des momentanen Urteil: „Der juridische Kampf kann nur eingebettet sein in einen politischen Kampf gegen das (neue) bestehende Polizeigesetz wie gegen die Ambitionen der Schwarz-Gelben Regierung ein Versammlungs-Verhinderungs-Gesetz zu verabschieden. Alle juristischen Erfolge unserseits würden in der allgemeinen Tendenz zum autoritären Umbau der Bundesrepublik Deutschland früher oder später durch neue Gesetzgebungen obsolet werden. Das neue Polizeigesetz, dass die Überwachung erst möglich gemacht hat, sowie das geplante Versammlungsgesetz der Landesregierung sind dafür gute Beispiele. Daher sehen wir im juridischen Kampf vor allen ein Mittel der Aufklärung wie die praktischen Intervention, die jedoch auf nichts anders letztendlich abzielen kann als die Selbstorganisierung der Bevölkerung gegen eine sich mehr und mehr verselbstständigende Exekutiv-Gewalt. „

„Vor einer Entscheidung des Gerichts werden keine Kameras eingeschaltet.“

Polizeisprecherin Nina Kupferschmidt zitiert in den Ruhrnachrichten vom 13.11.2020

Da noch gar nicht alle Kameras installiert sind, bleibt aber die Frage, ob auch der weitere Aufbau der Kameras gestoppt wird oder die Polizei lediglich mit dem Anschalten wartet. Wir beobachten es natürlich weiter.

Pressemitteilung: Nachbarschaftsinitiative gegen Kameraüberwachung reicht Eilantrag beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ein

Die Nachbarschaftsinitiative hat in enger Abstimmung mit dem Kulturzentrum „Nordpol“ (Münsterstr. 99) am 9. November 2020 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einen Eilantrag gegen die Inbetriebnahme der Kameraüberwachung auf der Münsterstraße eingereicht. Konkret beantragt die Nachbarschaftsinitiative „dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Klageverfahren 17 K 2626/20 zu untersagen, die Münsterstraße in Dortmund entsprechend der Entscheidung des Polizeipräsidenten des Polizeipräsidiums Dortmund vom 21. Januar 2020 durch den Einsatz optisch-technischer Mittel zu überwachen.“Der Eilantrag richtet sich nun vor allem gegen die Kamera, die fest auf die Ladenfront des Nordpols gerichtet sein wird und so eine unbeobachtete Teilnahme an Veranstaltungen unmöglich machen wird. Im Nordpol finden – jenseits des Lockdowns – neben Sprachcafé und Konzerten auch politische Versammlungen statt, die besonders durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt sind.

Bereits im Juli 2020 war im Namen der Initiative Klage beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eingereicht worden, um die Videoüberwachung dieser für die Dortmunder Nordstadt zentralen Straße, die trotz Aufzeichung schönfärberisch gern „Beobachtung“ genannt wird, zu verhindern.

Zwar hat der Polizeipräsident mehrfach argumentiert, dass der Nordpol nicht explizit beobachtet werden solle. Allerdings sieht der Plan eine Kamera vor, die ausschließlich die Ladenfront der Münsterstraße 99 beobachtet. In einem „Realisierungskonzept“ zur Videoüberwachung und in der Akte finden sich folgende Einschätzungen der Polizei: 

„Besonderer Wert wird auf die Hausnummer 60-62, 66 (Shishabars mit einschlägiger Klientel) und 99 (Cafe Nordpol) gelegt.“ sowie „Als problematisch hat sich das Cafe Nordpol (Hausnummer 99) […] erwiesen. Die Besucher sind nicht nur generell aufgrund ihrer ideologischen Prägung ablehnend gegenüber der Polizei, sondern stören zum Teil aktiv die in diesem Bereich durchgeführten Kontrollen der dort agierenden Drogendealer sowie strafverfolgende Maßnahmen gegen diese Klientel.“ 

Aus den Planungsdokumenten der Polizei Dortmund zur Videoüberwachung vom 27.08.2020

Der Nordpol argumentiert daher: „Grund für die Überwachung ist also, dass die Besucher:innen des Nordpol der Polizei kritisch gegenüber stehen und das Racial Profiling, das sie dort täglich selbst beobachten können (alle nicht-Weißen sind durch ihre Anwesenheit automatisch „Drogendealer“), nicht kommentarlos hinnehmen.

Arthur Winkelbach von der Initiative gegen Kameraüberwachung erklärt zum Eilantrag: „Da die Polizei Dortmund hektisch und vollkommen unnötig einer rechtsgültigen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vorgreift und nun Tatsachen schafft, musste die Nachbarschaftsinitiative nun erneut das Gericht anrufen. Wir hoffen, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen angesichts der Massivität der Eingriffe in die Grundrechte vieler Bügerinnen und Bürger die geplante Kamerainbetriebnahme stoppt.“

Die Initiative gegen Videoüberwachung hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Videoüberwachung der Münsterstraße nicht verhältnismäßig ist und vor allem nicht dazu beitragen kann, die Probleme der Nordstadt zu lösen. Noch 2016 hatte der Polizeipräsident selbst eine solche Überwachung abgelehnt, da zu erwarten sei, dass sich die Kriminalität nur an andere Orte verlagert. Das hat sich ja nicht plötzlich geändert. Lediglich die Rechtslage ist eine andere, weil sie jetzt auch erlaubt, Straftaten zu bekämpfen, die vielleicht, irgendwann in der Zukunft einmal stattfinden könnten. Aus Sicht der Initiative und des Anwalts geht die geplante Überwachung eines 350 Meter langen Straßenabschnitts weit über die nun erleichterte Überwachung spezfisicher Orte hinaus.

Eine Überwachung der Münsterstraße greift tief in die Persönlichkeitsrechte derjenigen ein, die dort wohnen oder sich regelmäßig aufhalten. Videoüberwachung löst keine sozialen Probleme und Studien haben immer wieder gezeigt, dass auch der erwartete Gewinn an subjektivem „Sicherheitsgefühl“ höchstens temporär ist und durch die Verdrängung gleichzeitig auf Kosten der Nachbar:innen geht.
Dazu erklärt Arthur Winkelbach: „Wir sprechen jeden Tag mit vielen Anwohner*innen und Passant*innen auf der Münsterstraße, die entsetzt sind von den aktuell zunehmenden Einfällen von Polizeitruppen auf ihre Einkaufsstraße. Unter dem Deckmantel der Durchsetzung von Coronaschutzmaßnahmen hat das Drangsalieren von Obdachlose, vermeintliche Drogenkonsumentinnen oder nur Passant:innen, die gerade ihre Maske nicht richtig aufgesetzt haben, weiter zugenommen. Ein Gefühl der Beklemmung und Verohnmächtigung erzeugt die Polizei mit ihren Einsätzen und ihren Plänen zur Totalüberwachung. Die Polizei schafft kein Gefühl von Sicherheit, sondern produziert selbst Angstraum für alle .“ 

Die Nachbarschaftsinitative gegen Videoüberwachung wird weiter für die Rechte der Anwohner:innen und Passant:innen der Münsterstraße kämpfen auf juristischen Wege, mit politischen Versammlungen und der kritischen Begleitung der polizeilichen Maßnahmen auf der Münsterstraße.

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