Am 17. Februar 2021 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen unseren Eilantrag gegen die Kameraüberwachung des Nordpols auf der Münsterstraße Dortmund abgelehnt. Obwohl das Gericht unserem Antrag dahingehend folgt, dass eine Überwachung des Nordpols nicht rechtmäßig wäre, folgt es der Argumentation der Polizei, die weiträumige Unkenntlichmachungen in Aussicht gestellt haben und die Überwachung ansonsten für notwendig hält. Wir sind weiterhin der Meinung, dass die negativen Folgen der Überwachung in keinem Verhältnis zu den erwarteten (nicht-)Effekten steht und haben daher gegen dieses Urteil Widerspruch eingelegt.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2018 hat die Dortmunder Polizei nach der Verschärfung des Polizeigesetzes  NRW eine komplette Kertwende vollzogen. Sie hat nun eine begonnen eine Kameraüberwachung vozubereiten, die sie vorher selbst als nicht sinnvoll erachtet hat. Mehrere hunderttausend Euro sollen in das Experiment der Überwachung jenes Teils der Münsterstraße fließen, der das geschäftige Zentrum der Nordstadt  bildet. Dabei haben Studien bereits gezeigt, dass die Kameras in der Brückstraße keinen nennenswerten Effekt haben. Nachdem wir im Hauptverfahren Akteneinsicht in die konkreten Überwachungspläne der Münsterstraße bekommen haben, ist uns aufgefallen, dass nicht nur vermeintliche Straßenkriminalität, sondern gerade auch der Nordpol Ziel der Überwachung werden sollte. Dies ist gerade daher ein Problem, da dieser als Versammlungsort von Aktivist:innen dient, welche der Polizei kritisch gegenüber stehen.Zur Kritik dieser staatlichen Ordnungspolitik verweisen wir auf die Stellungnahme des Nordpols.

Im Norpdol finden regelmäßig Veranstaltungen statt, die vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt sind. Ähnlich wie bei Demonstrationen sind auch Treffen in nicht-öffentlichen Räumen besonders schützenswert. Hier findet nämlich ein wichtiger Teil politischer Beteiligung und Kritik statt. Demonstrationen dürfen z. B. nicht grundlos gefilmt werden, da dies einen Abschreckungseffekt auf die Teilnehmer:innen haben kann und so langfristig die Demokratie schaden nehmen könnte.

Anders als Demonstrationen, bei denen die polizeiliche Kameras – auch in der Münsterstraße – abgeschaltet werden, müssen Versammlungen, die nicht im öffentlichen Raum, also auf Plätzen und Straßen, stattfinden, nicht bei der Polizei angemeldet werden. Die Polizei weiss daher nicht automatisch über solchen Veranstaltungen Bescheid und kann also  Kameras  auch nicht rechtzeitig vor einer solche Versammlung abschalten. Wie auch bei Demonstrationen ist nicht nur die Teilnahme, sondern auch die An- und Abreise zu diesen zu schützen. Wir haben daher am Gericht gefordert, dass ein Überwachung des Nordpols untersagt werden muss.

Polizeipräsident Lange reagiert auf die Kritik an den Plänen seiner Behörde so, dass er vor der Öffentlichkeit und vor Gericht behauptet, der Nordpol sei überhaupt nicht das Ziel der Überwachung. Aus den Akten ergibt sich allerdings ein anderes Bild: Direkt gegenüber des Nordpols soll eine Kamera aufgehängt werden. Die Bereiche daneben sind dabei auch von anderen Kameras abgedeckt. Ohne das Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens abzuwarten, hat die Polizei  durch das Befestigen der Kameras Fakten geschaffen. Aufgrund dieses voreilige Vorgehens hat sich die Initiative gegen Kameraüberwachung zusammen mit den Menschen vom Nordpol entschieden gerichtlich mit einem Eilverfahren gegen diese Befestigung der Kameras vorzugehen.

Zugeständnisse und Transparenzprobleme

Im Zuge des Prozesses hatten wir und die Polizei zweimal Gelegenheit unsere Positionen genauer auszuführen. Interessanterweise hat die Polizei dabei einige Zugeständnisse gemacht. So wurde dem Gericht gegenüber weiterhin argumentiert, dass der Nordpol nicht das Ziel der Überwachung sei und die Kamera, die auf den Nordpol gerichtet ist, vor allem die Straße im Blick haben solle. Um Sorgen zu zerstreuen wurden „Schwärzungen“ angekündigt:

    „Zur Verdeutlichung des Umstandes, dass der öffentliche Einsatz Hausnummer 99 und nicht das Café als Einrichtung von dem verbindlich optisch-technischer Mittel erfasst werden soll, wird […] mitgeteilt, dass der gesamte Eingangsbereich des Café Nordpol geschwärzt wird. Auch in technischer Hinsicht wird diese Schwärzung irreversibel sichergestellt, da bereits bei Beginn der Erzeugung der digital und Bildinformation durch den Bildprozessor aus dem einfallenden Licht damit vor der Verarbeitung, mithin einer Aufzeichnung in der Kamera und vor Weiterleitung der Bildinformation, eine Schwärzung der auszunehmenden Bereiche erfolgt.“ 

Aus der Stellungnahme der Polizei zum Eilantrag.

Dieses Zusage ist so schon ein kleiner Erfolg. Problematisch bleibt die Überwachung aber natürlich trotzdem! Für den Nordpol bedeutet eine Schwärzung der Ladenfront, dass jede*r, der die Kamerabilder beobachtet natürlich auch sehen kann, wer in den geschwärzten Bereich rein und wieder raus geht. Dass sich tatsächlich jemand die Mühe machen würde, bewertet das Gericht als ‚lebensfremd‘. Mit Blick aber auf die Aussagen in den Akten die begründen, den den Nordpol aufgrund der (vermuteten) politischen Einstellung der Besucher*innen überwachen zu wollen, ist gerade diese Sorge aus unserer Sicht sehr begründet. Zudem ist das geht es bei unserem Widerstands gegen die öffentliche Überwachung der Münsterstraße nicht allein um die Interessen des Nordpols und die Wahrung demokratischer Grundrechte: Die Kamera steht symbolisch für die Überwachung der Nordstädter:innen, die diese Straße, ihre Geschäfte, Einrichtungen, Wohnräume, frequentieren und die ohnehin schon ordnungspolitischer Stigmatisierung ausgesetzt sind.

Darüber hinaus ist natürlich für diejenigen, die sich auf der Münsterstraße bewegen, nicht ersichtlich, ob Sie sich gerade in einem „geschwärzten“ oder „nicht-geschwärzten“ Bereich aufhalten. Das gilt für die Besucher:innen des Nordpols genauso wie für diejenigen, deren Fenster und Balkone sich im Sichtfeld der Kameras befinden. Hier wird auch das Transparenzkonzept ins Absurde geführt, für das die Polizei sich stets selbst lobt. Mit Schildern und farbigen Markieren an den Kameras, die signalisieren ob eine Kamera aufzeichnet oder nicht, soll den Passant:innen transparent gemacht werden, ob sie sich nun dem panoptischen Blick der Kameras unterwerfen sollen oder sie selbst sein können.

Wer in Zukunft abends vor dem Nordpol steht sieht zwar dann den grünen Sticker auf der Kamera, der das aufzeichnen signalisiert, soll sich aber gleichzeitig durch eine Aktennotiz versichert fühlen, dass sie*er sich im geschwärzten Bereich befindet. Das macht natürlich keinen Sinn. Die einzige Möglichkeit die Menschen vor der Überwachung zu schützen – deren negative Effekte bekannt sind – ist es, die Kameras zu demontieren.

Widerspruch wird eingelegt

Wir sind mit der Entscheidung des Gerichts unzufrieden. Einerseits erkennt es an, dass Versammlungen im Nordpol grundgesetzlich geschützt sind, andererseits übernimmt es die klar politisch motivierten Aussagen der Polizei. Unter anderem wird der seit Jahrzehnten fehlende Nachweis der Wirksamkeit von Videoüberwachung mit dem Verweis auf ein „Sicherheitsgefühl“ abgetan – und damit Ordnungspolitik an Stelle wirksamer polizeilicher Straftatbekämpfung legitimiert.

    „Ein wissenschaftlicher Nachweis ist insoweit, anders als der Antragsteller wohl unter Bezugnahme auf eine die Eignung nicht abschließend erhärtende kriminologische Studie meint, nicht erforderlich.“       

Aus der urteilsbegründung

Auch die Widersprüche in der Argumentation der Polizei werden einfach für unwichtig erklärt. Einerseits die Kehrtwende bei der Überwachung, die er noch vor einigen Jahren für nicht sinnvoll erachtet wurde, anderseits die Nennung vom Nordpol als überwachenswert in den Akten und die Gegenteilige Aussage des Polizeipräsidenten. Dazu kommt weiterhin, dass die seit Jahren sinkenden Zahlen (selbst in den Zusammengeschustert wirkenden Statistiken) zusammen mit der nun startenden Umgestaltung der Münsterstraße in unseren Augen gegen die Überwachung sprechen.

Wir werden daher Widerspruch gegen die Eilentscheidung einreichen und erwarten eine Entscheidung des OVG in Münster.

Gegen die Aufrüstung der Polizei in der Nordstadt

Einmal mehr wird so deutlich, dass es dringend unabhängige Forschung zur Polizei braucht.  Arthur Winkelbach: „Wir erleben wie ein ganzen Apparat an Beamt:innen, unterstützt von Rechtsanwält:innen, finanziert von allgemeinen Steuermitteln, die sich gegenüber dem Gericht, dass wohl nicht als besonders polizeikritisch anzusehen ist, vorerst durchsetzen konnte. Der juristische Kampf für den Schutz der Grundrechte und gegen eine ausuferende Überwachung unseres Leben, wird nicht nur in der Münsterstraße in Dortmund ausgefochten.“

Wir verweisen daher ebenfalls auf den Erfolg der Initiative „Kameras Stoppen“ aus Köln, die vor Gericht die Videoüberwachung des Breslauer Platzes stoppen konnte.

Von der juristischen Auseinandersetzung unbeeinflusst setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass die Nordstadt nicht weiter zum Spielfeld neuer Polizeitechniken wird, deren Ziel nie die Lösung der sozialen und politischen Probleme des Stadtteils und der Bewohner:innen sind, sondern nur die Behandlung von Symptomen einer ungleichen Gesellschaft samt ihrer und Stigmatisierungen und Disziplinierunen  mit immer neuen Mittel. Dazu zählt für uns auch die „Erprobung“ von Tasern – einer tödlichen Waffe. Taser sind eine  autoritäre Maßnahme, die als  „Deeskalation“ propagiert wird. 

Arthur Winkelbach erläutert zur Bedeutung des momentanen Urteil: „Der juridische Kampf kann nur eingebettet sein in einen politischen Kampf gegen das (neue) bestehende Polizeigesetz wie gegen die Ambitionen der Schwarz-Gelben Regierung ein Versammlungs-Verhinderungs-Gesetz zu verabschieden. Alle juristischen Erfolge unserseits würden in der allgemeinen Tendenz zum autoritären Umbau der Bundesrepublik Deutschland früher oder später durch neue Gesetzgebungen obsolet werden. Das neue Polizeigesetz, dass die Überwachung erst möglich gemacht hat, sowie das geplante Versammlungsgesetz der Landesregierung sind dafür gute Beispiele. Daher sehen wir im juridischen Kampf vor allen ein Mittel der Aufklärung wie die praktischen Intervention, die jedoch auf nichts anders letztendlich abzielen kann als die Selbstorganisierung der Bevölkerung gegen eine sich mehr und mehr verselbstständigende Exekutiv-Gewalt. „