Die Nachbarschaftsinitiative hat in enger Abstimmung mit dem Kulturzentrum „Nordpol“ (Münsterstr. 99) am 9. November 2020 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einen Eilantrag gegen die Inbetriebnahme der Kameraüberwachung auf der Münsterstraße eingereicht. Konkret beantragt die Nachbarschaftsinitiative „dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Klageverfahren 17 K 2626/20 zu untersagen, die Münsterstraße in Dortmund entsprechend der Entscheidung des Polizeipräsidenten des Polizeipräsidiums Dortmund vom 21. Januar 2020 durch den Einsatz optisch-technischer Mittel zu überwachen.“Der Eilantrag richtet sich nun vor allem gegen die Kamera, die fest auf die Ladenfront des Nordpols gerichtet sein wird und so eine unbeobachtete Teilnahme an Veranstaltungen unmöglich machen wird. Im Nordpol finden – jenseits des Lockdowns – neben Sprachcafé und Konzerten auch politische Versammlungen statt, die besonders durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt sind.

Bereits im Juli 2020 war im Namen der Initiative Klage beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eingereicht worden, um die Videoüberwachung dieser für die Dortmunder Nordstadt zentralen Straße, die trotz Aufzeichung schönfärberisch gern „Beobachtung“ genannt wird, zu verhindern.

Zwar hat der Polizeipräsident mehrfach argumentiert, dass der Nordpol nicht explizit beobachtet werden solle. Allerdings sieht der Plan eine Kamera vor, die ausschließlich die Ladenfront der Münsterstraße 99 beobachtet. In einem „Realisierungskonzept“ zur Videoüberwachung und in der Akte finden sich folgende Einschätzungen der Polizei: 

„Besonderer Wert wird auf die Hausnummer 60-62, 66 (Shishabars mit einschlägiger Klientel) und 99 (Cafe Nordpol) gelegt.“ sowie „Als problematisch hat sich das Cafe Nordpol (Hausnummer 99) […] erwiesen. Die Besucher sind nicht nur generell aufgrund ihrer ideologischen Prägung ablehnend gegenüber der Polizei, sondern stören zum Teil aktiv die in diesem Bereich durchgeführten Kontrollen der dort agierenden Drogendealer sowie strafverfolgende Maßnahmen gegen diese Klientel.“ 

Aus den Planungsdokumenten der Polizei Dortmund zur Videoüberwachung vom 27.08.2020

Der Nordpol argumentiert daher: „Grund für die Überwachung ist also, dass die Besucher:innen des Nordpol der Polizei kritisch gegenüber stehen und das Racial Profiling, das sie dort täglich selbst beobachten können (alle nicht-Weißen sind durch ihre Anwesenheit automatisch „Drogendealer“), nicht kommentarlos hinnehmen.

Arthur Winkelbach von der Initiative gegen Kameraüberwachung erklärt zum Eilantrag: „Da die Polizei Dortmund hektisch und vollkommen unnötig einer rechtsgültigen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vorgreift und nun Tatsachen schafft, musste die Nachbarschaftsinitiative nun erneut das Gericht anrufen. Wir hoffen, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen angesichts der Massivität der Eingriffe in die Grundrechte vieler Bügerinnen und Bürger die geplante Kamerainbetriebnahme stoppt.“

Die Initiative gegen Videoüberwachung hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Videoüberwachung der Münsterstraße nicht verhältnismäßig ist und vor allem nicht dazu beitragen kann, die Probleme der Nordstadt zu lösen. Noch 2016 hatte der Polizeipräsident selbst eine solche Überwachung abgelehnt, da zu erwarten sei, dass sich die Kriminalität nur an andere Orte verlagert. Das hat sich ja nicht plötzlich geändert. Lediglich die Rechtslage ist eine andere, weil sie jetzt auch erlaubt, Straftaten zu bekämpfen, die vielleicht, irgendwann in der Zukunft einmal stattfinden könnten. Aus Sicht der Initiative und des Anwalts geht die geplante Überwachung eines 350 Meter langen Straßenabschnitts weit über die nun erleichterte Überwachung spezfisicher Orte hinaus.

Eine Überwachung der Münsterstraße greift tief in die Persönlichkeitsrechte derjenigen ein, die dort wohnen oder sich regelmäßig aufhalten. Videoüberwachung löst keine sozialen Probleme und Studien haben immer wieder gezeigt, dass auch der erwartete Gewinn an subjektivem „Sicherheitsgefühl“ höchstens temporär ist und durch die Verdrängung gleichzeitig auf Kosten der Nachbar:innen geht.
Dazu erklärt Arthur Winkelbach: „Wir sprechen jeden Tag mit vielen Anwohner*innen und Passant*innen auf der Münsterstraße, die entsetzt sind von den aktuell zunehmenden Einfällen von Polizeitruppen auf ihre Einkaufsstraße. Unter dem Deckmantel der Durchsetzung von Coronaschutzmaßnahmen hat das Drangsalieren von Obdachlose, vermeintliche Drogenkonsumentinnen oder nur Passant:innen, die gerade ihre Maske nicht richtig aufgesetzt haben, weiter zugenommen. Ein Gefühl der Beklemmung und Verohnmächtigung erzeugt die Polizei mit ihren Einsätzen und ihren Plänen zur Totalüberwachung. Die Polizei schafft kein Gefühl von Sicherheit, sondern produziert selbst Angstraum für alle .“ 

Die Nachbarschaftsinitative gegen Videoüberwachung wird weiter für die Rechte der Anwohner:innen und Passant:innen der Münsterstraße kämpfen auf juristischen Wege, mit politischen Versammlungen und der kritischen Begleitung der polizeilichen Maßnahmen auf der Münsterstraße.