Auskunft über die Bilanz der Kameraüberwachung in der Münsterstraße

Die Klage gegen die Kameraüberwachung ist Geschichte, die Kameraüberwachung aber noch nicht. Und das obwohl sie nicht wirksam ist, zur Verdrängung der Straßenkriminalität in die Nachbarstraßen führt und – wie wir aus der Pressemitteilung des Gerichts lernen – die Polizei es auch nicht schafft in angemessener Zeit von der Münsterstr. 17-19 die 300-500 Meter bis zum beobachteten Tatort zu überwinden.

Soweit die Polizei bisher im Schnitt etwas mehr als 15 Minuten von der per Video entdeckten Tat bis zum Ein­treffen benötigt hat, erweist sich dies vor dem gesetzlichen Erfordernis des unverzüg­lichen Eingreifens möglicherweise als zu lang.

aus der Pressemitteilung des OVG Münster

Wir wollten daher wissen, wie sich die Polizei die Bilanz der Überwachung so zurecht legt, dass sie einen Grund sieht sie aufrecht zu erhalten und haben deswegen über FragDenStaat.de eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestetllt. Die wurde nach knapp vier Wochen zwar beantwortet. Klüger wird man aus den Dokumenten allerdings nicht, da sie zum allergrößten Teil geschwärzt sind:

Weder sind die konkreten Statistiken lesbar noch erfährt man mehr als das faktische. Die Kameraüberwachung wird forgesetzt.

Tatsächlich enthält das Dokument sogar noch weniger Informationen als die bereits bekannten.

  • Laut Polizeipresse lag die Anzahl der Straftaten im Bereich Münsterstr. 2021 bei 330 (Tabelle Seite 3)
  • Die Zeit von der Beobachtung am Bildschirm bis zum Eintreffen der Beamten dauert 15 Minuten
  • Die Aufzeichnungszeiten wurden angepasst – es wird aber nicht veröffentlicht wie der neue Zeitraum ist. Dabei sollten die Kameras das doch selbst zeigen in dem die Shutter davor geschaltet sind, wenn nicht aufgezeichnet wird.

Besonders willkürlich wirkt die Entscheidung zum Weiterbetrieb, wenn man die Bilanz der Münsterstraße mit der Bilanz der dreimonatigen Überwachung der Mehmet-Kubaşık-Platzes vergleicht. Auch hier liegt natürlich „ein direkter Zusammenhang zwischen dem Aufstellen des Videocontainers und der Reduktion der Fallzahlen auf der Hand.“ Verdrängungseffekte gibt es nicht, weil man nicht danach geschaut hat. Trotzdem ist auf Seite 1 handschriftlich vermerkt „Die Maßnahme ist zu beenden“.

Abschließende Stellungnahme zur Klage gegen die Kameraüberwachung der Münsterstraße

Am 23.09.2022 hat das Oberverwaltungsgericht Münster unseren Eilantrag gegen die Kameraüberwachung in zweiter Instanz abgelehnt. Die Kameras der Polizei dürfen hängen bleiben. Wir sind enttäuscht über diese Entscheidung, aber die Urteilsbegründung macht deutlich, dass die Videoüberwachung in ihrer ursprünglichen Planung nicht gesetzeskonform war.  Erst durch unsere Klage wurde die unverhältnismäßige Überwachung angepasst und auch nun im Abschluss bestehende Schwächen wie die 15-Minuten-Einsatzzeit öffentlich. 

Das Vorgehen der Polizei war geprägt von mangelnder Transparenz, fehlendem Problembewusstsein und Zugeständnissen in Salami-Taktik. Auch vor dem Hintergrund der Ereignisse um den Mord an Mouhamed Dramé und den Entwicklungen in der Nordstadt offenbart sich, dass die Polizei in Dortmund ein systemisches Problem darstellt und nicht für zivile Sicherheit, sondern für staatliche Eigeninteressen einsteht.

Zum Ablauf

Als klar wurde, dass das neue Polizeigesetz in NRW 2018 Videoüberwachung in größerem Umfang als bisher ermöglichen würde, begann eine Arbeitsgruppe innerhalb der Polizei Dortmund, die Überwachung der Münsterstraße vorzubereiten, die der Polizeipräsident noch wenige Jahre vorher abgelehnt hatte. 

Im Juli 2020 hatte NoCamDo erstmals Klage gegen die bekanntgewordenen Pläne zur Überwachung der Münsterstraße zwischen Hausnummer 50 und 99 (plus anliegender Straßen) eingereicht. Im September bekamen wir über das Gericht erstmals Zugang zu 90 Seiten Planungsdokumenten, die unsere Zweifel an der Gesetzeskonformität bestätigten. Trotz der laufenden Klage und unserer ausführlichen Klagebegründung vom Oktober kündigte die Polizei dann im November 2020 an, die Kameras zeitnah in Betrieb zu nehmen, woraufhin wir einen Eilantrag gestellt haben. Nachdem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen unseren Eilantrag im Februar 2021 abgelehnt hatte, legten wir im März 2021 Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster ein, wo das Urteil nun 1,5 Jahre später gefällt wurde. Im Mai 2021 hatte die Polizei die Kameraüberwachung gestartet und zwischenzeitlich auch den Mehmet-Kubaşık-Platz, der an den überwachten Bereich angrenzt, kurzzeitig mit einem mobilen Container überwacht.

Das OVG Münster hat nun unseren Eilantrag zwar abschließend abgelehnt, allerdings beruht die Entscheidung auf einem Einsatzplan, – der erst durch unsere Intervention verändert wurde –, auf falschen Fakten und auf Basis eines Polizeigesetzes, das mit rein repressiven Maßnahmen versucht, ein Gefühl von Sicherheit zu schaffen, das in der Realität bereits in sich zusammen gefallen ist.

Aber im Detail:

Ursprüngliche Einsatzplanung war vermutlich rechtswidrig 

Im Rahmen der Verfahren und der öffentlichen Debatte wurde wiederholt Kritik an der Planung und Duchführung der Überwachung laut. 

Die Überwachung des Nordpols und von Shishabars

Bereits in einem der ersten Planungsdokumente heißt es: „Besonderer Wert wird auf die Hausnummer 60–62, 66 (Shishabars mit einschlägiger Klientel) und 99 (Cafe Nordpol) gelegt.“ Weiter heißt es zum Nordpol: „Die Besucher sind nicht nur generell aufgrund ihrer ideologischen Prägung ablehnend gegenüber der Polizei, sondern stören zum Teil aktiv die in diesem Bereich durchgeführten Kontrollen der dort agierenden Drogendealer sowie strafverfolgende Maßnahmen gegen diese Klientel.“ 

Statt konkreter Straftaten sind die Gründe für die Überwachung struktureller Rassmismus, Vorurteile gegenüber „Shishabars“ und deren Kund:innen sowie die kritische Haltung einiger Besucher:innen des Nordpols gegenüber den ebenfalls häufig als Racial Profiling wahrgenommenen Kontrollen.

In der ersten Stellungnahme zum Eilantrag musste die Polizei dann aber schon zurückrudern. Nicht der Nordpol solle überwacht werden, sondern der Raum davor. In der Klageerwiderung hieß es im Januar 2021:

„Zur Verdeutlichung des Umstandes, dass der öffentliche Einsatz Hausnummer 99 und nicht das Café als Einrichtung von dem verbindlch optisch-technischer Mittel erfasst werden soll. Wird nochmals verbindlich mitgeteilt, dass der gesamte Eingangsbereich des Café Nordpol geschwärzt wird.“ 

aus der Klageerwiderung der Polizei

Wir hielten und halten diese Zusage für unzureichend. In Kooperation mit dem Nordpol haben wir weiter argumentiert, dass auch die Bereiche, die den Zugang zum Nordpol bilden, nicht überwacht werden sollten. Im Nordpol finden regelmäßig politische Versammlungen statt, die nach § 8 Grundgesetz (Versammlungsfreiheit) geschützt sind, und zu denen Zugang möglich sein muss, ohne dass sich die Besucher*innen überwacht fühlen. Das reine „Schwärzen“, über die die Polizei weiterhin keine Transparenz geschaffen hat, und dass man einer Kamera auch nicht ansehen kann, ist unserer Ansicht nach nicht ausreichend.

Diese Frage musste das OVG nun aber nicht klären, da der Nordpol mittlerweile – auch wegen der Überwachung – die Münsterstraße verlassen hat und seit November in der Bornstraße 144 zu finden ist. Das OVG hält die Frage aber durchaus für relevant und erklärt, es „bedürfte der umfassenden (verfassungs-)rechtlichen Würdigung.“ (Zitat aus dem Urteil)

Transparenz: Mangelhaft

Neben der mangelnden Transparenz über (vielleicht) geschwärzte Bereiche hatten wir argumentiert, dass die Kameras auf Vorbeilaufende so wirken, als würden sie durchgehend filmen. Zwar waren die Kameras von Anfang mit Shuttern ausgestattet, die sich vor die Kameralinse schalten lassen, um sichtbar zu machen, dass nicht aufgenommen werden kann. In der Praxis hatte die Polizei diese Funktion aber nur bei Demonstrationen genutzt. Nachdem wir diesen Zustand bereits im Sommer 2021 kritisiert und die Nordstadtblogger es auch nochmal dokumentiert hatten, passierte aber außer einem Dementi vonseiten der Polizei nichts. Erst nachdem der WDR darüber berichtet hatte, teilte Polizeipräsident Lange kurz vor dem Urteilsspruch dem Gericht mit, dass die Shutter nun auch „außerhalb der Betriebszeiten“ geschaltet werden würden. Das Gericht nimmt auf diese spontane Änderung gleich zweimal lobend Bezug. Auch hier wäre ohne unsere Intervention nichts passiert. 

Wir hatten auch kritisiert, dass die Schilder, die auf die Videoüberwachung hinweisen, insbesondere auf der Mallinckrodtstraße erst erkennbar sind, wenn man sich schon im Bereich der Überwachung aufhält. Das Gericht hat dieses Problem auch erkannt und kritisiert. Dass es nicht zu einem Verbot der Videoüberwachung führt, ist juristisches Klein-Klein. Der Kläger wäre ja, dank der Infos, die er im Rahmen des Verfahrens bekommen hat, schon informiert genug; für ihn seien die Schilder nicht relevant. Es liegt nun also an der Polizei, die Beschilderung auch ohne Urteil zu verbessern.

In beiden Punkten – Überwachung des Nordpols und mangelnde Transparenz – hat unsere Klage und die öffentliche Diskussion bewirkt, dass die Polizei ihr Einsatzkonzept überarbeiten musste. Hier haben die internen Prüforgane wie die Datenschutzbeauftragten entweder versagt oder wurden nicht gehört.

An den vorurteilsbehafteten Lageeinschätzungen ändert sich ohnehin nichts.

Trau keiner Statistik …

Ein weiterer bleibender Kritikpunkt ist für uns die Arbeit der Polizei mit Statistiken. Das Verfahren hat gezeigt, dass die Datenlage beliebig angepasst und zum eigenen Vorteil dargestellt wird. Umso unverständlicher ist für uns, dass das Gericht die Angaben weiterhin akzeptiert.

Grundsätzlich ist das Problem aller polizeilichen Kriminalitätsstatistiken, dass sie Verdachtsfälle betrachten und nicht tatsächliche Straftaten, die auch von Gerichten bestätigt wurden. Das führt dazu, dass bei erhöhter Polizeipräsenz natürlich auch mehr Verdachtsfälle generiert werden. Die Münsterstraße ist regelmäßig Ziel von Innenminster Reuls rassistisch motivierter Kampagne gegen „Clankriminalität„, die von der Polizei Dortmund als „Schwerpunkteinsätze“ dargestellt werden. Dabei werden willkürlich Menschen kontrolliert und durchsucht; natürlich werden dabei eine Vielzahl von Verdachtsfällen generiert, die die Statistik in die Höhe treiben. Dieser Umstand findet im Urteil des Gerichts keine Berücksichtigung, stattdessen werden Äpfel mit Birnen verglichen und die Anzahl der vermeintlichen Straftaten ins Verhältnis zur Gesamtfläche der Stadt Dortmund gesetzt, die ja zu wesentlichen Teilen aus Grünflächen besteht.

Würde die Polizei auf dem Westenhellweg oder am Phoenixsee genauso stark kontrollieren, ließe sich an jedem belebten Ort in Dortmund die statistische Grundlage für Videoüberwachung schaffen.

Und natürlich war es auch im Hinblick auf die Statistiken nicht so, dass die Polizei von sich aus mit korrekten Zahlen gearbeitet hätte. Auch der Behörde ist klar, dass nicht alle Straftaten in einem Straßenabschnitt irgendwie durch Videoüberwachung aufgeklärt und verdrängt werden können (z. B. Begebenheiten, die in Innenräumen stattfinden). Trotzdem wurden die Statistiken erst im Laufe des Verfahrens und nach Aufforderung durch das Gericht präzisiert. Statt 403 war dann nur noch 335 Straftaten in 2017 die Rede.

Die Statistiken lassen übrigens auch die gegenteilige Bewertung zu: Die Zahl der vermeintlichen Straftaten sind in den Jahren vor der Videobeobachtung (von 2017 bis 2019) bereits um 55 % gesunken. Von 2019 bis 2021 (also mit den Jahren 2020 und 2021, in denen eine Überwachung stattgefunden hat), dann nur noch um 25 %. Man könnte also auch behaupten, die Videoüberwachung habe dazu geführt, dass die Münsterstraße weniger schnell sicher wird.

Negative Effekte finden keine Berücksichtigung

Wir haben von Anfang an betont: Videoüberwachung löst keine Probleme. Sie macht sie kurz sichtbar und verdrängt sie anschließend. 

Genau dies ist in der Münsterstraße passiert, vor allem was den Drogenhandel angeht. Menschen mit Suchtproblemen wollen weiterhin Drogen kaufen und Menschen mit wenig anderen Einkommensmöglichkeiten sind mehr oder weniger freiwillig hier tätig. Mal abgesehen davon, dass der Drogenhandel sich in den vergangenen Jahren digitalisiert hat und nun online stattfindet, hat der verbleibende Straßenhandel sich einfach andere Orte gesucht. Insbesondere die Zimmerstraße und der Keuningpark sind nun zum „Problemgebiet“ erklärt worden. Eine Lösung ist Kameraüberwachung hier nicht. Würde man den Keuningpark überwachen, müsste man im Anschluss vermutlich den Blücherpark überwachen. Erst wenn ganz Dortmund und Lünen überwacht sind, könnte man zufrieden sein … wäre dann doch Unna das Problem.

Verdrängungseffekte kann man aber auch ganz konkret beobachten. Die Polizeimeldungen der vergangenen Monate nannten immer wieder Einsätze in der Zimmerstraße, die parallel zur Münsterstraße verläuft – und eben nicht überwacht ist. Zuletzt fielen dort im Oktober 2022 Schüsse.

Falsche Versprechen und keine Exit-Strategie

Unsere Klage gegen die Videoüberwachung hatte zum Ziel, die Überwachung zu untersagen, da wir sie für grundrechtswidrig halten. Die Polizei hat stetig argumentiert, sie würde die Münsterstraße sicherer machen. Das Gericht hat uns zwar nicht recht gegeben. Die Polizei hat aber auch gezeigt, dass sie ihr Versprechen nicht einhalten kann. Soweit die Evaluation bisher gezeigt hat, vergehen im Schnitt etwas mehr als 15 Minuten von dem Zeitpunkt, zu dem die Videobeobachter*innen etwas entdecken, bis dann Einsatzkräfte vor Ort sind. 15 Minuten, um die maximal 500 Meter von der Wache Nord bis zur Münsterstraße 99 zu überwinden.

Es stellt sich die Frage welchen Sinn die Evaluation einer Maßnahme hat, wenn jedes Ergebnis dazu führt, dass die Überwachung bleibt. Obwohl die Zahl der Verdachtsfälle in der Münsterstraße zurückgeen, bleiben die Kameras hängen. Obwohl sich gezeigt hat, dass die Kameraüberwachung ihr Ziel, schnelle Eingreifen zu können nicht erreicht, bleiben die Kameras hängen. 

Für uns bleibt die Frage: Was muss passieren damit die Polizei versteht, dass die Kamerüberwachung ein Fehlschag ist? Gibt es überhaupt einen Plan, wann die Maßnahme beeindet wird? Oder sind die 800.000 € die bisher investiert wurden der Grund das man in jedem Fall weiter machen muss?

Zusammenfassung

Wir hatten mit unsere Klage gegen die Videoüberwachung der Münsterstraße leider keinen Erfolg. Das Gericht folgte der Begründung der Polizei, die sich auf das aktualisierte Polizeigesetz beruft, das seit einigen Jahren umfangreichere Videoüberwachung erlaubt. 

Durch unsere Klage und anhaltende Kritik hat die Polizei nachgebessert und Dinge präzisiert, die ohne eine Klage und öffenltichen Druck, vermutlich gesetzeswidrig umgesetzt wurden. Dass die Polizei nicht von sich aus korrekt arbeiten kann (wie z. B. die Shutter benutzen, die sie selbst hat anbringen lassen) ist schade und bringt uns zum letzten Punkt:

Die Polizei hat im Rahmen der Klage und auch durch ihr Verhalten im Viertel in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie kein Akteur ist, der positiv zum Leben in der Nordstadt beiträgt. Repressive Maßnahmen wie die Videoüberwachung, aber vor allem Racial Profiling und willkürliche Kontrollen im Rahmen von „Schwerpunkteinsätzen“ gehören zum Alltag und schaffen Sicherheit nur für diejenigen Dortmunder*innen, die in den Pressemeldungen davon lesen, aber nicht betroffen sind. 

Statt einer aufgerüsteten Polizei, mit Tasern, Bodycams, Kameras und Maschinenpistolen brauchen wir andere Formen der Sicherheit. NoCamDo wird daher in Zukunft in der Kampagne Defund The Police mitarbeiten, die am 18.11.2022 im Nordpol in der Bornstraße eine Veranstaltung organisiert zum Thema „Was ist »Abolitionismus«?“ durchführen wird, die am Vorabend der Demonstration „Es gibt 1000 Mouhameds – Sie verdienen Gerechtigkeit!“ stattfindet. 

Diskussion zu Polizeiüberwachung

Am 22.10.2021 hat ein Mitglied unserer Initiative zusammen mit zwei Vertretern von kameras-stoppen.org und Copwatch Griechenland an einer Diskussion zum Thema „Polizeiüberwachung und Überwachung der Polizei“ teilgenommen. Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist jetzt bei radio nordpol nachhörbar.

Hier klicken, um den Inhalt von radio.nrdpl.org anzuzeigen

PM: Zum Abbau des Überwachungscontainers auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz und der Doku „Eine Straße voller Kameras“.

Am 11.10.2021 wurde der Überwachungscontainer abgebaut, der seit dem 15. Juni den Mehmet-Kubaşık-Platz dominiert. Die Initiative gegen die Kameraüberwachung NOCAMDO begrüßt diesen Schritt und hofft, dass auch die Kameras in der Münsterstraße zügig abgeschaltet und abgebaut werden.

Während die Polizei die Maßnahme als Erfolg wertet, sieht sich die Initiative in ihrer Kritik bestärkt: Der Einsatz ist unverhältnismäßig und richtet sich gegen die Bewohner*innen der Nordstadt. Statt Probleme im Stadtteil wirklich anzugehen, soll Kleinkriminalität durch den Technikeinsatz nur verdrängt werden.

Die vergangenen Monate haben auch gezeigt, dass das Transparenzkonzept der Polizei nicht aufgeht und vermeintlich „technische Probleme“, wie die Nichteinhaltung der Überwachungszeiten, daran zweifeln lassen, dass ein rechtskonformer Einsatz der Kameras überhaupt möglich ist. Diese Einschätzung wird auch durch eine nun veröffentlichte WDR Doku bestätigt.

Wenn die Polizei ihre eigenen Statistiken ernst nimmt, sollten auch die Kameras in der Münster- und Brückstraße abgehängt werden

Die Initiative NOCAMDO hat grundsätzliche Zweifel an den Statistiken der Polizei, die bisher ohne wissenschaftliche Begleitung entstehen. So liegt kein Nachweis vor, ob die Kameras oder aber die Coronaschutzmaßnahmen den Grund für den vermeintlichen Rückgang von Delikten sind. Aber auch unabhängig von den konkreten Zahlen ist die Argumentationslogik der Polizei widersprüchlich. Auf der einen Seite werden „gesunkene Fallzahlen“ und das Argument der Verhältnismäßigkeit als Begründung für den Abbau des Überwachungscontainers angeführt. Auf der anderen Seite gilt dies nicht für die Videoüberwachung auf der Brückstraßesowie der Münsterstraße für festinstallierte Kameras – insbesondere für die Brückstraße ist der Rückgang der Zahlen seit Jahren von der Polizei selbst ermittelt worden. Hier zeigt sich, dass nicht rechtliche Argumente, sondern scheinbar Kostengesichtspunkte bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines massiven Eingriffs in die Grundrechte Vorrang haben.

Die Ankündigung der Polizei bei „steigenden Fallzahlen“ eine „Wiedereinführung der Videoüberwachung“ vorzunehmen, zeigt, dass neben der fehlenden wissenschaftlichen Evaluation auch durch Ad-Hoc Überwachungsmaßnahmen gerichtliche Überprüfungen sowie ggf. richterliche Einschränkungen der Überwachungsmaßnahmen erschwert werden, da die Maßnahmen ohne Ankündigungen durchgeführt werden.

Nichtsdestotrotz bewertet die Initiative den Abbau der Kameras positiv. „Wir erwarten nun, dass die Polizei bei ihrer ersten Evaluation der Daten aus der Münsterstraße zu dem selben Ergebnis kommt und konsequenterweise auch dort die Kameras abbaut“, so Artuhr Winkelbach, ebenfalls Teil der Initiative.

Dokumentation zeigt mangelnde Transparenz

Parallel veröffentlichte der WDR in den Abendstunden des 11. Oktobers die Dokumentation „Eine Straße voller Kameras: Muss die Polizei alles sehen?“, die im Sommer aufgezeichnet wurde. In der Dokumentation wird deutlich, dass vielen Anwohner*innen bis heute unklar ist, wann und ob Kameras eingeschaltet sind und welche Bereiche die Kameraüberwachung wirklich erfasst. Sie zeigt, dass ein Kommunikations- und Transparenzkonzept fehlt und offenbar keine Planungen existieren, die bestehenden Unklarheiten bei Anwohner*innen der Münsterstraße zu beheben. Auch ein am Anfang interviewter Polizeibeamter kann das Konzept mit grünen und roten Aufklebern nicht schlüssig erklären und der Polizeipräsident kann am Ende nur behaupten „man müsste erkennen“ welche Kameras ausgeschaltet seien.

Rechtlich interessant war in der Dokumentation ebenfalls die Frage von Schwärzungen bestimmter Bereiche im Überwachungsgebiet. So ist den betroffenen Geschäften, deren Besucher*innen und auch den Anwohner*innen bis heute nicht klar, welche außengastronomischen Bereiche geschwärzt wurden und welche nicht und auf welcher Entscheidungsgrundlage dies geschieht. Die Initiative hatte im Rahmen der Klage mehrfach auf diesen Missstand hingewiesen, ohne dass hier Klarheit geschaffen wurde. „Wir freuen uns, dass nun immerhin öffentlich wird, dass es überhaupt Schwärzungen gibt. Leider sind diese nicht ausreichend“, so Martin Pilpul, In der Dokumentation ist sichtbar, dass Hauseingänge von Wohnhäusern nicht geschwärzt sind – dies stellt nach Ansicht die NOCAMDO Initiative aber einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf Privatssphäre dar.

Ebenfalls nicht geschwärzt sind die KFZ-Kennzeichen, hierzu liegt nach einer richterlichen Anordnung des Verwaltungsgerichtes Köln bzgl. der Kameraüberwachung in Köln zur Schwärzung eben dieser, ein offenes Verfahren beim Oberverwaltungsgericht in Münster vor. Bisher ist nach Aktenlage und technischer Konzeption keinerlei Ansatz erkennbar einen Grundrechtsschutz für KFZ-Halter*innen vorzunehmen.

Ebenfalls in der Dokumentation zu Wort kommt ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Train of hope“, der eindrücklich auf eine Problematik hinweist, vor der die Kritiker*innen der Kameraüberwachung stets gewarnt haben. Durch die Überwachung in Kombination mit rassistischen Stereotypen bei Polizeibeamt*innen kommt es nun vermehrt zu polizeilichen Kontrollen aufgrund der vermuteten Herkunft. Die schon lange bestehende Problematik des Racial Profiling wird durch die optische Totalerfassung des Raums der Münsterstraße somit nicht zurückgedrängt, sonder vielmehr noch weitergehend verstärkt und quasi institutionalisiert in alltägliches polizeiliches Handeln.

Überwachung auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz: Polizei schreckt Menschen vor Teilnahme an Versammlung ab

Am heutigen 09.06. veranstaltet das Antifa Café Dortmund ab 19 eine Kundgebung unter dem Motto „Gegen Polizeiwillkür und Repression gegen Fußballfans“ auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz, der wie die Münsterstraße, seit Juni kameraüberacht wird. Hierbei handelte es sich, um eine Versammlung, die nicht überwacht werden darf. In einem Gerichtsverahren in Köln war erwirkt worden, dass Kameras sichtbar abgeschaltet werden müssen, z.B. indem sie verhüllt werden. Die Polizei Dortmund möchte dem laut eigener Aussage nicht folgen. Die Veranstalter:innen kündigen, in Kooperation mit der Initiative gegen Kameraüberwachung, den juristischen Weg an.

„Bei politischen Versammlungen dürfen Menschen nicht das Gefühl haben, von der Polizei gefilmt zu werden. Das könnte sie abschrecken, dorthin zu gehen und ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen.“, erklärt Arthur Winkelbach, von der Initative NoCamDo. „Die Polizei vertritt nun allerdings den Standpunkt, dass diese Kameras niemanden abschrecken würden, dabei bleibt das Grundproblem bestehen: Die Polizei hat Kameras auf eine politische Versammlung ausgerichtet und das darf nicht sein.“ Im Urteil vom Verwaltungsgericht Köln vom 12.03.2020 (20 L 453/20) heißt es dazu: „Im Rahmen des Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz geht das Gericht davon aus, dass die unverhüllte Präsenz der Kameras einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Teilnehmer darstellt. […] Die Zusage, die Kameras während der Versammlung abzuschalten, lässt den Eingriff nicht entfallen. „

„Dadurch, dass die Kameras während der Kundgebung unverhüllt sind, ist für die Teilnehmer:innen nicht erkennbar ob sie beobachtet werden oder nicht. So schüchtert die Polizei Menschen ein, an dieser Versammlung teilzunehmen. Dass die Abschreckung für potentielle Teilnehmer:innen für die Polizei so wenig Gewicht hat, reiht sich ein in die Missachtung der Grundrechte und Überdehnung ihre Befugnisse, die wir schon bei der Dauerüberwachung der Münsterstraße kritisiert haben, die weit über die angekündigten Zeiträume aktiv ist“, so Winkelback weiter. Dies sei besonders problematisch, weil sich die Kundgebung eben gegen Polizeiwillkür richte. „Dass die Polizei in dem Rahmen Vertrauen von uns einfordert, hinterlässt uns mit Kopfschschütteln. Vor allem mit Blick auf die Demonstration in Düsseldorf müssen wir feststellen, dass die Polizei in der Lage ist, die Versammlungsfreiheit zu missachten. Deswegen braucht es die Sicherheit, dass die Versammlung nicht überwacht wird: Die Kameras müssen abgehangen werden.“, so eine Vertreterin des Antifa Cafés.

Zum Antifa Cafe: https://antifacafedortmund.noblogs.org/
Gerichtsurteil aus Köln: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_koeln/j2020/20_L_453_20_Beschluss_20200312.html

Dokumentation: Überwachungscontainer

Gestern wurde der angekündigte Überwachungscontainer am Mehmet-Kubaşık-Platz aufgestellt. Hier Fotos und Einschätzungen von Twitter:

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Presseerklärung zum Start der Überwachung am 31.05.2021

Der Überwachungstestbetrieb der Münsterstraße ist die Fortführung einer falschen Sicherheitspolitik in der Dortmunder Nordstadt  

Die Polizei hat angekündigt am Montag, den 31. Mai 2021 mit einem Testbetrieb die Videoüberwachung in der Münsterstraße zu starten. Die Initiative gegen Videoüberwachung kritisiert dies und verweist auf anhängige Klagen sowie gründsätzliche Widersprüche polizeilicher Sicherheitspolitik. 

Zur Inbetriebnahme der Kameras erklärt Arthur Winkelbach von der Nachbarschaftsinitiative gegen Kamerüberwachung: „Sicher hat die Polizei Dortmund viel Geld und Zeit in dieses große Überwachungsprojekt gesteckt. Nach mehr als einem Jahr der politischen und juristischen Auseinandersetzung sehen wir aber weiterhin organisatorische, soziale und datenschutzrechtliche Probleme, die sich mit der Technik nicht lösen lassen.“ 

Die Initiative stellt den Sinn von Kameraüberwachung insgesamt in Frage und hat im Konzept klare Mängel identifiziert. Daher wurde im Herbst 2020 erst eine allgemeine Klage und später ein Eilantrag gegen die Überwachung eingereicht. Letzterer liegt derzeit beim Oberverwaltungsgericht in Münster. 

Gleichzeitig klagt in Köln eine Initiative gegen die Ausweitung von dortiger Videoüberwachung. In den bisherigen Urteilen dieser juristischen Auseinandersetzung werden weitere Auflagen genannt, die die Polizei Dortmund derzeit nicht umsetzt.  

Ein Beispiel:  Die Polizei möchte mit den Kameras Straßenkriminalität bekämpfen, filmt aber gleichzeitig Hauseingänge, Fenster von Privatwohnungen und auch die Zugänge zu grundgesetzlich geschützten Versammlungen. Die bisher vorgelegten Dokumente, die überhaupt nur aufgrund der Klage einsehbar wurden, zeigen kein Lösungskonzept für die Probleme mangelnder Transparenz und Grundrechtseingriffe.

Zwar hat die Polizei Hinweisschilder für Besucher*innen sowie für Anwohner*innen in der Münsterstraße aufgestellt, jedoch sind die Schilder erst im videoüberwachten Bereich sichtbar. Insbesondere Anwohner*innen können der Überwachung nicht entgehen. Sie werden dabei beobachtet wann und mit wem sie ihre Wohnungen betreten und verlassen. Die hochhängenden Kameras können außerdem in Fenster und auf Balkone filmen. Die Polizei hat bisher nicht schlüssig erläutern können, wie sie durch sogenannte „Schwärzungen“ die Übergriffe in die Privatssphären verhindern kann. Es bleibt auch offen welche „Schwärzung“ der Außengastronomie – die vor Gericht zugesagt wurde – konkret umgesetzt wird oder wie die Polizei Dortmund gedenkt mit der Erfassung von KfZ-Kennzeichen umzugehen. 

Hierzu hatte das Verwaltungsgericht Köln (Aktenzeichen 20 L 2344/20) bereits im Februar in einem Grundsatzurteil festgestellt: „§ 15a PolG NRW ermächtigt allerdings weder zur Videoüberwachung privater und/oder sensibler Bereiche noch zur KFZ-Kennzeichenerfassung.“ 

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss klargestellt: „Entsprechend hat der Antragsgegner sicherzustellen, dass Privatbereiche, d.h. Wohn- und Geschäftshauseingänge im Videobereich Neumarkt, der Eingangsbereich des Gesundheitsamtes und die KFZ-Kennzeichen der den Videobereich befahrenden Straßenverkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer unkenntlich gemacht/ verpixelt werden.“ 

„Jenseits dieser konkreten Gestaltungsfragen kritisert die Initiative die Pläne für die Videoüberwachung aber weiterhin grundsätzlich“, so Martin Pilpul, weiterer Sprecher der Initiative. Studien haben gezeigt, dass Videoüberwachung meist keine Effekte auf die Kriminalität haben. Die überwiegend sozialen Probleme lassen sich damit nicht lösen. Stattdessen befürchten wir, dass von der Polizei unerwünschtes Verhalten in die Nebenstraßen abwandert. Videoüberwachung, Taser, Schwerpunkteinsätze dienen vor allem der Stigmatisierung der Nordstadt und ihrer Bewohner*innen, um dann wiederum weitere ordnungspolitische Maßnahmen zu rechtfertigen.“

Dokumentation: Kamerastandorte

Während die juristische Auseinandersetzung noch läuft dokumentieren wir in diesem Beitrag die bisher installierten 17 Kamerastandorte. Die genauen Positionen sind auf dieser Karte hinterlegt.

Eine eindrücklich Auflistung der ordnungspolitischen Maßnahmen und ihrer absurden und erschreckenden Folgen für die Betroffenen Nordstadtbewohner:innen:

Eilentscheidung des Gerichts / Widerspruch eingelegt

Am 17. Februar 2021 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen unseren Eilantrag gegen die Kameraüberwachung des Nordpols auf der Münsterstraße Dortmund abgelehnt. Obwohl das Gericht unserem Antrag dahingehend folgt, dass eine Überwachung des Nordpols nicht rechtmäßig wäre, folgt es der Argumentation der Polizei, die weiträumige Unkenntlichmachungen in Aussicht gestellt haben und die Überwachung ansonsten für notwendig hält. Wir sind weiterhin der Meinung, dass die negativen Folgen der Überwachung in keinem Verhältnis zu den erwarteten (nicht-)Effekten steht und haben daher gegen dieses Urteil Widerspruch eingelegt.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2018 hat die Dortmunder Polizei nach der Verschärfung des Polizeigesetzes  NRW eine komplette Kertwende vollzogen. Sie hat nun eine begonnen eine Kameraüberwachung vozubereiten, die sie vorher selbst als nicht sinnvoll erachtet hat. Mehrere hunderttausend Euro sollen in das Experiment der Überwachung jenes Teils der Münsterstraße fließen, der das geschäftige Zentrum der Nordstadt  bildet. Dabei haben Studien bereits gezeigt, dass die Kameras in der Brückstraße keinen nennenswerten Effekt haben. Nachdem wir im Hauptverfahren Akteneinsicht in die konkreten Überwachungspläne der Münsterstraße bekommen haben, ist uns aufgefallen, dass nicht nur vermeintliche Straßenkriminalität, sondern gerade auch der Nordpol Ziel der Überwachung werden sollte. Dies ist gerade daher ein Problem, da dieser als Versammlungsort von Aktivist:innen dient, welche der Polizei kritisch gegenüber stehen.Zur Kritik dieser staatlichen Ordnungspolitik verweisen wir auf die Stellungnahme des Nordpols.

Im Norpdol finden regelmäßig Veranstaltungen statt, die vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt sind. Ähnlich wie bei Demonstrationen sind auch Treffen in nicht-öffentlichen Räumen besonders schützenswert. Hier findet nämlich ein wichtiger Teil politischer Beteiligung und Kritik statt. Demonstrationen dürfen z. B. nicht grundlos gefilmt werden, da dies einen Abschreckungseffekt auf die Teilnehmer:innen haben kann und so langfristig die Demokratie schaden nehmen könnte.

Anders als Demonstrationen, bei denen die polizeiliche Kameras – auch in der Münsterstraße – abgeschaltet werden, müssen Versammlungen, die nicht im öffentlichen Raum, also auf Plätzen und Straßen, stattfinden, nicht bei der Polizei angemeldet werden. Die Polizei weiss daher nicht automatisch über solchen Veranstaltungen Bescheid und kann also  Kameras  auch nicht rechtzeitig vor einer solche Versammlung abschalten. Wie auch bei Demonstrationen ist nicht nur die Teilnahme, sondern auch die An- und Abreise zu diesen zu schützen. Wir haben daher am Gericht gefordert, dass ein Überwachung des Nordpols untersagt werden muss.

Polizeipräsident Lange reagiert auf die Kritik an den Plänen seiner Behörde so, dass er vor der Öffentlichkeit und vor Gericht behauptet, der Nordpol sei überhaupt nicht das Ziel der Überwachung. Aus den Akten ergibt sich allerdings ein anderes Bild: Direkt gegenüber des Nordpols soll eine Kamera aufgehängt werden. Die Bereiche daneben sind dabei auch von anderen Kameras abgedeckt. Ohne das Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens abzuwarten, hat die Polizei  durch das Befestigen der Kameras Fakten geschaffen. Aufgrund dieses voreilige Vorgehens hat sich die Initiative gegen Kameraüberwachung zusammen mit den Menschen vom Nordpol entschieden gerichtlich mit einem Eilverfahren gegen diese Befestigung der Kameras vorzugehen.

Zugeständnisse und Transparenzprobleme

Im Zuge des Prozesses hatten wir und die Polizei zweimal Gelegenheit unsere Positionen genauer auszuführen. Interessanterweise hat die Polizei dabei einige Zugeständnisse gemacht. So wurde dem Gericht gegenüber weiterhin argumentiert, dass der Nordpol nicht das Ziel der Überwachung sei und die Kamera, die auf den Nordpol gerichtet ist, vor allem die Straße im Blick haben solle. Um Sorgen zu zerstreuen wurden „Schwärzungen“ angekündigt:

    „Zur Verdeutlichung des Umstandes, dass der öffentliche Einsatz Hausnummer 99 und nicht das Café als Einrichtung von dem verbindlich optisch-technischer Mittel erfasst werden soll, wird […] mitgeteilt, dass der gesamte Eingangsbereich des Café Nordpol geschwärzt wird. Auch in technischer Hinsicht wird diese Schwärzung irreversibel sichergestellt, da bereits bei Beginn der Erzeugung der digital und Bildinformation durch den Bildprozessor aus dem einfallenden Licht damit vor der Verarbeitung, mithin einer Aufzeichnung in der Kamera und vor Weiterleitung der Bildinformation, eine Schwärzung der auszunehmenden Bereiche erfolgt.“ 

Aus der Stellungnahme der Polizei zum Eilantrag.

Dieses Zusage ist so schon ein kleiner Erfolg. Problematisch bleibt die Überwachung aber natürlich trotzdem! Für den Nordpol bedeutet eine Schwärzung der Ladenfront, dass jede*r, der die Kamerabilder beobachtet natürlich auch sehen kann, wer in den geschwärzten Bereich rein und wieder raus geht. Dass sich tatsächlich jemand die Mühe machen würde, bewertet das Gericht als ‚lebensfremd‘. Mit Blick aber auf die Aussagen in den Akten die begründen, den den Nordpol aufgrund der (vermuteten) politischen Einstellung der Besucher*innen überwachen zu wollen, ist gerade diese Sorge aus unserer Sicht sehr begründet. Zudem ist das geht es bei unserem Widerstands gegen die öffentliche Überwachung der Münsterstraße nicht allein um die Interessen des Nordpols und die Wahrung demokratischer Grundrechte: Die Kamera steht symbolisch für die Überwachung der Nordstädter:innen, die diese Straße, ihre Geschäfte, Einrichtungen, Wohnräume, frequentieren und die ohnehin schon ordnungspolitischer Stigmatisierung ausgesetzt sind.

Darüber hinaus ist natürlich für diejenigen, die sich auf der Münsterstraße bewegen, nicht ersichtlich, ob Sie sich gerade in einem „geschwärzten“ oder „nicht-geschwärzten“ Bereich aufhalten. Das gilt für die Besucher:innen des Nordpols genauso wie für diejenigen, deren Fenster und Balkone sich im Sichtfeld der Kameras befinden. Hier wird auch das Transparenzkonzept ins Absurde geführt, für das die Polizei sich stets selbst lobt. Mit Schildern und farbigen Markieren an den Kameras, die signalisieren ob eine Kamera aufzeichnet oder nicht, soll den Passant:innen transparent gemacht werden, ob sie sich nun dem panoptischen Blick der Kameras unterwerfen sollen oder sie selbst sein können.

Wer in Zukunft abends vor dem Nordpol steht sieht zwar dann den grünen Sticker auf der Kamera, der das aufzeichnen signalisiert, soll sich aber gleichzeitig durch eine Aktennotiz versichert fühlen, dass sie*er sich im geschwärzten Bereich befindet. Das macht natürlich keinen Sinn. Die einzige Möglichkeit die Menschen vor der Überwachung zu schützen – deren negative Effekte bekannt sind – ist es, die Kameras zu demontieren.

Widerspruch wird eingelegt

Wir sind mit der Entscheidung des Gerichts unzufrieden. Einerseits erkennt es an, dass Versammlungen im Nordpol grundgesetzlich geschützt sind, andererseits übernimmt es die klar politisch motivierten Aussagen der Polizei. Unter anderem wird der seit Jahrzehnten fehlende Nachweis der Wirksamkeit von Videoüberwachung mit dem Verweis auf ein „Sicherheitsgefühl“ abgetan – und damit Ordnungspolitik an Stelle wirksamer polizeilicher Straftatbekämpfung legitimiert.

    „Ein wissenschaftlicher Nachweis ist insoweit, anders als der Antragsteller wohl unter Bezugnahme auf eine die Eignung nicht abschließend erhärtende kriminologische Studie meint, nicht erforderlich.“       

Aus der urteilsbegründung

Auch die Widersprüche in der Argumentation der Polizei werden einfach für unwichtig erklärt. Einerseits die Kehrtwende bei der Überwachung, die er noch vor einigen Jahren für nicht sinnvoll erachtet wurde, anderseits die Nennung vom Nordpol als überwachenswert in den Akten und die Gegenteilige Aussage des Polizeipräsidenten. Dazu kommt weiterhin, dass die seit Jahren sinkenden Zahlen (selbst in den Zusammengeschustert wirkenden Statistiken) zusammen mit der nun startenden Umgestaltung der Münsterstraße in unseren Augen gegen die Überwachung sprechen.

Wir werden daher Widerspruch gegen die Eilentscheidung einreichen und erwarten eine Entscheidung des OVG in Münster.

Gegen die Aufrüstung der Polizei in der Nordstadt

Einmal mehr wird so deutlich, dass es dringend unabhängige Forschung zur Polizei braucht.  Arthur Winkelbach: „Wir erleben wie ein ganzen Apparat an Beamt:innen, unterstützt von Rechtsanwält:innen, finanziert von allgemeinen Steuermitteln, die sich gegenüber dem Gericht, dass wohl nicht als besonders polizeikritisch anzusehen ist, vorerst durchsetzen konnte. Der juristische Kampf für den Schutz der Grundrechte und gegen eine ausuferende Überwachung unseres Leben, wird nicht nur in der Münsterstraße in Dortmund ausgefochten.“

Wir verweisen daher ebenfalls auf den Erfolg der Initiative „Kameras Stoppen“ aus Köln, die vor Gericht die Videoüberwachung des Breslauer Platzes stoppen konnte.

Von der juristischen Auseinandersetzung unbeeinflusst setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass die Nordstadt nicht weiter zum Spielfeld neuer Polizeitechniken wird, deren Ziel nie die Lösung der sozialen und politischen Probleme des Stadtteils und der Bewohner:innen sind, sondern nur die Behandlung von Symptomen einer ungleichen Gesellschaft samt ihrer und Stigmatisierungen und Disziplinierunen  mit immer neuen Mittel. Dazu zählt für uns auch die „Erprobung“ von Tasern – einer tödlichen Waffe. Taser sind eine  autoritäre Maßnahme, die als  „Deeskalation“ propagiert wird. 

Arthur Winkelbach erläutert zur Bedeutung des momentanen Urteil: „Der juridische Kampf kann nur eingebettet sein in einen politischen Kampf gegen das (neue) bestehende Polizeigesetz wie gegen die Ambitionen der Schwarz-Gelben Regierung ein Versammlungs-Verhinderungs-Gesetz zu verabschieden. Alle juristischen Erfolge unserseits würden in der allgemeinen Tendenz zum autoritären Umbau der Bundesrepublik Deutschland früher oder später durch neue Gesetzgebungen obsolet werden. Das neue Polizeigesetz, dass die Überwachung erst möglich gemacht hat, sowie das geplante Versammlungsgesetz der Landesregierung sind dafür gute Beispiele. Daher sehen wir im juridischen Kampf vor allen ein Mittel der Aufklärung wie die praktischen Intervention, die jedoch auf nichts anders letztendlich abzielen kann als die Selbstorganisierung der Bevölkerung gegen eine sich mehr und mehr verselbstständigende Exekutiv-Gewalt. „

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